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Hier gibt es dies und jenes aus dem Leben der Leute von 1540 bis 1600
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Diese Seite will nur einen groben Überblick, der Entwicklung in der Zeit von 1540 - 1600 aufzeigen, um so besser die Welt
meiner Ahnen verstehen zu können. Dabei geht es mir nicht darum, die deutsche Geschichte genau zu erfassen, sondern
Ereignisse aufzuzeigen, die für das Leben der einfachen Leute wichtig wurden.
Alles andere würde den Rahmen dieser Homepage sprengen.
Die wichtigsten Schlagworte
Tischsitten - Nur kein Furtz
Was der Bürger Friedhart Henke heute am meisten fürchtet? Einen Furz. Noch vor einer Stunde ist er auf dem
Balken gewesen und hat sich erleichtert für das Festmahl, welches der Nürnberger Kaufmann Gustav Scheuen
anlässlich der glücklichen Ankunft zweier Gewürzschiffe für die Mitglieder der Gilde gibt. Nicht auszudenken,
wenn Friedhart, der ja nur die Säcke für die wohlriechenden Preziosen herstellt, heute beim Essen einen Wind
fahren ließe - man hielte ihn glatt für einen Bauern. Friedharts Knie zittern ein bisschen, als er die große
Halle in Bürger Scheuerls Haus betritt. Schmale Tische stehen dort in der Form eines U, auf den Bänken sitzen
bereits an die 40 Gäste, ein riesiges weißes Tuch reicht weit über den Tisch hinaus und schützt so die Beinkleider
vor herabfallenden Essenwesten, auch den Mund darf man sich daran abwischen und muss es nicht mit dem Ärmel tun.
»Praktisch«, findet Friedhart. Ein Bediensteter weist ihm einen Platz zu, der weit vom Salzfass des Gastgebers
entfernt ist und deutlich macht, welch niedrigen Rang Friedhart, der Sackmacher, hier bekleidet. Als er auf dem
Tisch herumblickt, rutscht sein Herz noch tiefer: Gabeln! Hol's der Teufel, er hat nicht geahnt, dass auch die
Scheuerls jedem Gast eine Gabel neben das Holzbrett legen. Friedhart hat sehr selten mit so einem Ding gegessen,
bei ihm zu Hause bringt jederMann sein Messer mit und ist bestens versorgt. Sei's drum. Dafür ist Friedharts
Tischfrau eine Schönheit, blond und recht gut genährt, Maria heißt sie, und ist eine Tochter des Hausherrn. Gerade
will Friedhart einen kecken Spruch sagen, als die ganze Runde gleichzeitig »aaaaah« macht, weil der erste Gang
aufgetragen wird: Ein großer, mit Brot gefüllter Kapaun thront in einer giftgrünen Sauce aus Pfefferminze. Dazu
kommt das, was man »Vier Essen aus einem Fisch« nennt: Riesige Hechte, in vier Stücke gehauen, liegen auf grob
gehobelten Brettern, der Kopf auf dem Rost gebraten, der zweite Teil in Wein gekocht, der dritte Teil in Essig
eingelegt und dann gegart, der Schwanz gebacken. Dazu große Schüsseln Kraut. Friedhart läßt sich von allem nur ein
kleines Stück vorlegen, das hat ihm seine Frau eingeschärft. Von Gabeln hat sie nichts gesagt - und damit hat
Friedhart die meisten Probleme. Die Gespräche bei Tisch drehen sich um: Gesunkene Handelsschiffe. Eine Partie
Pfeffer, die ganz und gar verdorben war. Und Steuern, viel zu hohe Steuern. Aber bevor die Gesellschaft sich in
Rage redet, tischt die Küche erneut auf: sauer eingelegte Neunaugen und für die Frauen geröstete Kuheuter.
Friedhart redet inzwischen recht ungezwungen mit Maria, passt aber auf, dass er sich nicht allzu weit zu ihr
dreht, um den Gastgeber nicht zu verärgern. Der nächste Gang, und was für einer: gefüllte Spanferkel, die mit ihren
Pfoten und den Blumen in der Schnauze so aussehen, als seien sie direkt von der Wiese auf den Spieß gesprungen.
Und dann, »aaaah«, ruft der Tisch, Gänse im Teigmantel, auf welche die Köche mit Kräuterfarben säuberlich
das Wappen des Hauses gepinselt haben. »Nur einmal«, sagt Maria, »habe ich etwas Schöneres gesehen. Vor Jahr und
Tag beim Bischof zu Pfingsten: Da wurden ganze Ochsen gebracht, und dann öffnete man die Leiber, und heraus
flogen zwitschernde Nachtigallen.« »Oh«, sagt Priedhart, und begeht den einzigen Fehler des Abends: Die Knochen
der Gans legt er in die Gemeinschaftsschüssel statt auf sein Brett. Aber Maria rettet ihn: »Vielleicht fängt
sie wieder an zu flattern, wenn Ihr die Flügel zurückgebt«, lächelt sie. Friedhart lacht pflichtschuldig. Auf den
vorletzten Gang, Eiersuppe mit Safran, hat er keinen Appetit mehr und schlürft nur ein paar Löffel. Schließlich kommt
das Obst, und sein Magen ist danach so voll, dass er seinen Gürtel öffnet. Gott sei Dank sammelt der Hausherr
jetzt die finanzkräftigsten Gilde-Mitglieder um einen gesonderten Tisch, und Friedhart deutet dies als Zeichen,
sich von Maria zu verabschieden. Schon auf der Schwelle freut er sich, dass er den Abend glücklich überstanden hat.
Drausen lässt erleichtert einen Wind fahren. Natürlich ohne einen Laut.
Gefängnis bei Wasser und Brot für Nacktbader
Das 16. Jahrhundert war nach Meinung vieler Sporthistoriker eine Zeit, in der die bis dahin in Blüte stehende
mittelalterliche Bewegungskultur zu verfallen begann. Die einen machten die kirchliche Leibfeindlichkeit
verantwortlich, die anderen vermuteten einen Niedergang der Volkskraft. Die Reformation mit ihrer engen
Glaubensauslegung soll einem freien Bewegungsleben ebenfalls die Wurzeln entzogen haben. Als Indizien
wurden insbesondere Verordnungen aus dieser Zeit ins Feld geführt, die Leibesübungen; Schwimmen, Spiel und Tanz
unterbinden sollten.
Wie abwegig solche Annahmen sind, kann allein schon daraus abgelesen werden, dass bereits im
12. Jahrhundert ritterliche Tuniere verboten wurden, obwohl sie gerade ihrem Höhepunkt zustrebten. Im
13. Jahrhundert versuchte die Obrigkeit das Fechten einzudämmen. Im 14. Jahrhundert schritt sie gegen das Tennis- und
Fußballspielen ein.
Die Gründe; warum kirchliche, staatliche oder kommunale Institutionen die Bewegungskultur schon
im Mittelalter zu reglementieren versuchten, waren allemal die gleichen: Es ging um die Abwendung von Gefahren für
Leib und Leben, um die Sonntagsruhe- und Feiertagsgestaltung sowie um die Einhaltung von christlichen
Anstandsregeln. Auch der Klerus gab Anlass, seinen unsittlichen Lebenswandel zu bekämpfen. Todesfälle von Angehörigen
des Hochadels beim Sport wühlten die Öffentlichkeit auf; vorbeugende Gesetzgebungsmaßnahmen waren die Folge.
Die Reformation im 16. Jahrhundert brachte ohne Zweifel einen Verhaltenswandel, der mit einer kleinlichen
Überwachung der Sitten einherging. Raufereien wurden nicht geduldet, unzüchtiges Benehmen abgeurteilt, Wein
trinken aus Fässern bestraft, bequeme Abwasserentsorgung wie etwa das Ausgießen des "bruntz" und Spülwassers auf
die Straße polizeilich verfolgt.
Gleichermaßen erschienen manche der spielerisch-sportlichen Betätigungen aus der Sicht der Behörden als verwerflich.
So wurden zum Beispiel 1541 in Frankfurt acht Männer zu vier Wochen Gefängnis bei
Wasser und Brot verurteilt, weil sie wie von "Gott geschaffen, ganz nackt und bloß im Main gebadet, getanzt und
gesprungen hatten".
In Hamburg wurde 1537 untersagt, "wie die Gänse oder Enten zu baden und zu
schwimmen". In Breslau peitschten Lehrer sogar die Leiche eines ertrunkenen Knaben aus, um Mitschüler vor den Gefahren
des Schwimmens und Badens abzu schrecken.
Waren dagegen Regeln der "Ehrbarkeit" (= anständig, sittlich unverdächtig) eingehalten, konnten Ärzte, Lehrer und
Theologen - unter ihnen so namhafte Autoritäten wie Luther, Zwingli oder Bucer - einer körperlichen Betätigung einen
positiven Sinn abgewinnen. Luther hat bereits den sozial-präventiven Aspekt der Leibesübungen erkannt und gefordert,
dass Menschen mit "ehrlichen" und "nützlichen" Beschäftigungen ihre Zeit verbringen, damit sie von "Schwelgen,
Unzucht, Fressen, Saufen und Spielen" - gemeint waren Glücksspiele - abgehalten werden.
Solche Denkvorstellungen erlaubten, auf vielen Gebieten die theoretischen Grundlagen der Körperbildung auszubauen.
Gestützt auf das antike Vorbild erschienen bereits im 16. Jahrhundert Lehrbücher über Fechten, Ballspiele und
Schwimmen. 1538 kam das erste Schwimm-Lehrbuch mit dem Titel Der Schwimmer oder die Schwimmkunst" auf den Markt, das
von Nikolaus Wynmann (Professor in Ingolstadt) verfasst wurde.
Darin wurde die körperbildende Bedeutung des Schwimmens dargelegt und das Schwimmen zu einer Kunst aufgewertet.
Der Schwimmer sollte wissen, warum aus Sicherheitsgründen das Brustschwimmen dem Rückenschwimmen vorzuziehen sei.
Nachgedacht wurde über das ermüdende "Handeln", den Armzug, den Beinschlag und die Atemtechnik. Darüber hinaus
wurde besprochen, wie Auftriebsmaterialien etwa aus Kork, Schilf oder Rinderblasen beim Schwimmenlernen helfen können.
Ein ähnliches Schwimmlehrbuch erschien 1587 in England.
Das Schwimmen und Tauchen war nicht nur Kunst, sondern hatte gelegentlich auch praktischen Nutzen: In dem ersten
Schwimm-Lehrbuch wird von Wynmann berichtet, wie ein Flickschuster aus der Umgebung von Tübingen, durch seine
Geschicklichkeit im Schwimmen und seine "gauklerische Kunst . . . im Zurückhalten des Atems wider die menschliche
Natur sich in die tiefsten Neckarstrudel hinabstürzte und dort verblieb". Was tat er dort? Er stahl die
"allerbesten Fische" - zum Ärger der Fischerzunft, die ihm mit Knüppeln, Steinen und Pfeilen nachstellte.
Verbot des Zutrinkens mit einem Prosit quittiert
"Prost!" Erst nach diesem Segenswunsch ist gemäß landesüblicher Auffassung der erste Schluck erlaubt.
Wird anschließend jemandem zugeprostet, so ist der Schluck zu erwidern. Das sind die harmlosen Reste
des "Zutrinkens" das im 16. Jahrhundert exzessiv betrieben wurde. Die "Trunkenbölze" stritten
mit ihren Trinkgefäßen gegeneinander, als seien dies Spieße und Waffen, so klagt der Tübinger Professor
Johann Georg Sigwart anno 1599 über ein Wettrinken, das er folgendermaßen beschreibt:
"Im Anfang tut der Fürnehmste unter ihnen einen Angriff, facht einen Umtrunk an. Dann fährt er mit
einem Trunk kreuzweise. Bald stellt man andere an, die auf allen Seiten mit Gläsern und Bechern
zuschießen. Kurz danach kommen die Gäste und Zechbrüder selbst aneinander, Mann an Mann, Zwei an Zwei:
Das muss es halb, ganz, zu einem Trunk, zu einem Suff ausgesoffen sein, ohne Schnaufen und Bartwischen.
Und gleichwie zwei Helden aneinander bestehen, also saufen diese ein Wett miteinander. Und welcher
obsiegt und den Platz behält, der bringt den Preis davon. Es werden auch zu Zeiten Verehrungen und
Gewinne geordnet denen, die am mehrsten saufen können."
Das "klassische Zeitalter deutscher Trinksucht", so läutet ein Urteil über das 16. Jahrhundert. Das
mag daran liegen, dass damals der Kampf gegen die Kampftrinker so richtig entflammte. Schon im
15. Jahrhundert hatten die Verbote des Zutrinkens zugenommen. In den Rechtsakten zahlreicher
Reichsstädte finden sich entsprechende Verordnungen.
Kaiser Maximilian I. erließ 1498 in Freiburg folgendes Verbot
für das ganze Reich: "Des Zutrinkens halber ist beschlossen, dass in den Landen, wo sollich Zutrinken
von Alter in Gewohnheit gewesst, ein jede Obrigkeit verfügen soll, dass- sollich Zutrinken nit
gestattet, sondern abgestellt, vermieden und ernstlich gestraft werde."
Der seinerseits reichlich versoffene Adel reagierte auf dieses Verbot, indem er darauf anstieß.
1512 erließ Maximilian eine Neuauflage des Verbots, das,
wie er einräumte, bis dahin nicht befolgt worden sei. In dieser Neufassung wurden neben den Untertanen
explizit auch die Obrigkeiten zur Mäßigung aufgefordert und mit Entzug der kaiserlichen Gnade sowie
mit saftigen Geldstrafen bedroht.
Der Erlass von 1512 nennt die Gründe für das Verbot: Aus dem Zutrinken entstehe Trunkenheit, aus
der wiederum "Gotteslästerung, Totschlag und sonst viel Laster". Ein Extra-Kapitel war das Zutrinken in
den Feldlagern, welches die Wehrkraft der Truppe nachhaltig beeinträchtigte.
Auch Luther, wiewohl selber kein Kostverächter, zog gegen die exzessive Trinklust zu Felde und erklärte
das "Saufen" für "eine Art Pest, welche durch Gottes Zorn über uns geschickt ist". Die Polemiken gegen
maßloses Trinken nahmen im 16. Jahrhundert signifikant zu. Der fränkische Adlige Johann von
Schwarzenberg schrieb 1534 "Wider das Zutrinken", Matthäus
Friedrich 1557 die Kampfschrift "Wider den Saufteufel". Und
Sebastian Franck ereiferte sich über die "grewlichen Laster der Trunckenheit".
Diese Flut von Erlassen, Verboten und Denkschriften erweckt den Eindruck, als ob das 16. Jahrhundert
stärker alkoholdurchtränkt gewesen sei als andere Epochen. Dabei war es zuvor sicher nicht viel
besser gewesen. Was sich - infolge der Reformation - geändert hatte, war das Verhältnis des Menschen
zum Alkohol.
Allerdings dauerte es noch ein Weilchen, bis eine erwachende bürgerliche Vernunft, eine veränderte
Arbeitswelt, die mehr Nüchternheit forderte - und ein neues Genussmittel namens Kaffee - den Saufteufel
zwar nicht ausmerzte, aber ziemlich bändigte.
Quellennachweis
Buch "Hohenlohe" von Otto Bauschert
Buch "Leben in Hohenlohe" von Helmut Starrach
Buch "2000 Jahre Chronik der Weltgeschichte" vom Chronik-Verlag
Buch "Pfedelbach 1037 - 1987" von der Gemeinde Pfedelbach
Heft "GEOEPOCHE - Das Millennium"
Heft "GEOEPOCHE - Das Mittelalter"
Zeitung; Artikel aus dem "Haller Tagblatt"