C.M. Plümicke,
Briefe auf einer Reise durch Deutschland im Jahre 1791

C.M. Plümicke hat in seinem Buch "Briefe auf einer Reise durch Deutschland im Jahre 1791" auf den Seiten 363 bis 373 seinen Besuch bei Johann Friedrich Heinle beschrieben. Hier erfahren wir einiges über Johann Friedrich Heinle.

Sieben und dreissigster Brief.

                                                                                                                                                                                                   Augsburg
Der sehr freundschaftlichen Empfehlung des Hrn. Prof. Baader verdanke ich unter andern eine der schätzbarsten Bekanntschaften
- die des Her. Consulent v. Schadow und dessen Frau Gemahlinn. Leztere ist eine schöne und außerordentlich gebildete Frau, die Zierde
der hiesigen Damen. Ihre musikalisches Talent verdiene Bewunderung. In Fertigkeit und Ausdruck auf dem Klavier habe ich bisher
nicht ihres gleichen gehört. Die Gefälligkeit womit sie meinem kaum gewagten Wunsch, sie spielen zu hören, entgegen kam, erhöhete
den Werth derselben für mich.
    Viel hatte ich in München von der Einrichtung der Spinnmaschinen gehört, die Hr. Fabrikant und Mechanikus (Joh.Friedr.) Heinle 
hieselbst erfunden hat. Ich habe nun diesen sehr einsichtsvollen geschickten Mann kennen lernen. Er führte mich in seiner Fabrik umher.
Die Einrichtung seiner Spinnerei ist vortreflich. In einem langen Saal fand ich 15 bis 20 Stück seiner Maschinen, und er versicherte, wohl
noch einigmal so viel in Bereitschaft zu haben, zu deren Ansiellung es ihm aber an Platz gebräche. Seine Maschine ist bei weitem nicht
so kompliziert, als die Englische, welche ich in Holland sahe, und nimmt dabei nicht mehr Raum weg, als ein Tisch zu 5 bis 6 Personen.
Eigentlich hat er 6 verschiedene Arten solcher Maschinen. Diejenige, von welcher Hr. Heinle vorzugsweise Gebrauch macht, besteht in
einer Handmaschine von 25 bis 36 Spindeln, und liefert in einer Stunde 3 bis 4000 hiesige Ellen Garn (auch wohl noch mehr), es mag grob
oder fein sehn. Ihre Handhabung ist leicht, und die spinnende Person hat äusserst wenig dabei zu thun; denn der Mechanismus verrichtet
das meiste und schwierige. In wenig Stunden ist man darauf gelernt. Halberwachsene Leute taugen schon dazu. Alle Baumwolle=Sorten
lassen sich darauf spinnen, und zwar in größterer Vollkommenheit von Fadengleichheit und Festigkeit, als mit den Englischen Spinnmachinen
von Spulenart geschehen kann.
Ueberhaupt sind die Spindelmachinen für die vorzüglichsten in mehreren Betracht zu halten - durch die Eigenschaft, daß, wenn ein Faden
bricht, die Spindel stille steht, und der Gang der Machine nicht unterbrochen werden darf, hat Hr. Heinle diese nützliche Machine noch eines
großen Vorzugs versichert. Große Werke 200 bis 300 Spindeln, welche Hr. Heinle besitzt, waren wegen seiner andren vielen Geschäfte und
mangelnden Platzes noch nicht aufgestellt.
    In Verbindung mit diesen Machinen stehen diejenigen des Hrn. Heinle vermittelst deren er die Baumwolle zuvorderst zu einer Art von groben
Gespinnst in der Dicke eines Federkiels zubereitet. Er bediente sich bisher der Menschenhände hiezu; hinführo aber soll dies blos durch
Machinen bewurkt werden. Er bezweifelt übrigens, daß diese leztern irgendwo sonst schon anzutreffen sind, und ist der Meinung, daß der
gute oder schlechte Erfolg des nochmaligen feinen Spinnens größtentheils von der Bildung und Akkuratesse dieses groben oder sogenannten
Vorgespinnstes abhänge.
     Wer nach der Manier des Hrn. Heinle eine Spinnerei anlegen wollte, müßte demnächst, wenn die Einrichtung vollständig sehn soll, auch die
Maschine besitzen, auf welcher die Baumwolle zuvor in so weit gereinigt wird, daß hernach Menschenhände nur sehr wenig noch zur
gänzlichen Reinigung beitragen dürfen. Ein Mensch kann auf derselben des Tages 8, 10, bis 12 Pf. ganz rein machen. - Besonders bei den
Levantischen Baumwollensorten muß noch eine gewisse Veise gebraucht werden, wodurch ihnen die Eigenschaft zu Theil wird, daß die Faden
nur selten entzweigehen.
    Sogar zur Erleichterung des Haspelns des schon gesponnenen Garns hat Hr. Heinle eine Maschine erfunden, deren Mechanismus aber ihn
selbst noch nicht vollkommen zufrieden stellt, sondern noch erst verbessert werden muß. - Bei einer eigenen Spinnmaschinen=Einrichtung
wäre auch eine eigene Kartätschmaschine nothwendig, indem dabei manche alte Kartätsche wieder ausgebessert werden kann. So kostbar
übrigens eine dergleichen Einrichtung auch ist: so kostet sie doch nach Hr. Heinle eigener Versicherung mehr, als man gewöhnlich glaubt.
Wird sie aber einsichtsvoll und fleißig betrieben, gewährt sie einen sehr großen Nutzen. Wer von Hrn. Heinle Maschinen dazu kauft, dem
leistet er für das utile Gewähr; verlangt auch, ehe die Proben über alles nicht sattsam gemacht sind, keine Bezahlung. Der Preis seiner Werke
ist verschieden, und wird gestellt, nachdem viel oder wenig auf einmal gekauft wird. Eine Maschine in der von ihm gewöhnlich gebrauchten
Art, von 25 Spindeln, kostet mit dazu erforderlicher Belehrung 300 Fl. und ohne dieselbe 150 Fl.
    Mein Vergnügen bei dem Anblick der schönen Spinneinrichtungen des Hrn. Heinle wurde übrigens durch ein für mich sehr schätzbares
Geschenk vermehrt. Es besteht in einem Stück Garn aus Distelwolle, das er mit etwas Zusatz von Baumwolle auf seiner Maschine spinnen ließ,
und nicht nur fein, gleich und fest von Faden ist, sondern sich sehr weich und seidenartig anfühlen läßt. Ich habe es großen Kennern gewiesen,
die den Hauptstoff, woraus dieses Garn fabrizirt war, nicht zu errathen vermochten.
    Außer demjenigen, was zur Spinnmaschinen=Einrichtung gehört, hat Hr. Heinle sich noch durch verschiedene andere Erfindungen verdient
gemacht, in denen gewiß (auch ohne solche bisher, meines Wissens, schon im Praktischen angewendet zu haben) außerordentlich viel Gutes und
Nützliches enthalten zu seyn scheint. So hatte er z.B. bei einem sechsjährigen Aufenthalt in Bordeaur und auf einigen Seereisen Gelegenheit
gehabt, sich zu überzeugen, daß in der Schiffahrt mit Mast und Segel noch viel Unvollkommenes enthalten ist. So viele daher entstandne
Unglücksfälle für Menschen, Güter und Schiffe, wovon er selbst zum Theil Zeuge war, regten in ihm zuerst den Gedanken auf, eine Schiffungskunst
ausfindig zu machen, die den vielen Mängeln der jetzt bestehenden, wo nicht ganz, doch zum Theil abhülfe. Es blieb jedoch damit so lange beim
guten Vorsatz, bis er sich nochmals hier in Augsburg niederließ, wo er neben der Maschinenspinnerei andrer Maschinen einrichtete. Eine große
Menge praktischer Versuche mit allerlei Maschinen gaben ihm endlich so viel Licht als zur glücklichen Ausführung seines längst genährten
Lieblingszwecks erforderlich war. Er fand nämlich ein Mittel, wie der Wind auf eine ganz andere Art, und von allen Seiten herwehend, benutzt
werden könne. Auch das Wasserelement machte er zu einem Fortbewegungsmittel, und diesen beiden Behelfen gesellete er noch eine neu
erfundene Maschine hinzu. Vermittelst dieser drei Dinge nun, des Windes, des Wassers, und der so eben erwähnten Maschine, vermag er
nunmehr bei jedem Winde, er sey groß oder klein, und selbst bei Windstille, fortzuschiffen. Die diesfällige Probe hat er bereits mit kleinen
und großen Maschinen gemacht. Man kann sich davon durch den Augenschein bei ihm selbst überzeugen; denn um die Sache glauben zu können,
muß man sich würklich mit der Einrichtung und der Würkung des Ganzen bekannt machen. Genaue provisorische Aufschlüsse vertragen sich
ohnehin mit seinem Geheimniß nicht.
    Nach der mir von ihm selbst gewordenen ziemlich genauen Auskunft, muß ich mich daher blos auf folgendes beschränken:
     1) ein Schiff, mit der nurerwähnten Maschine ausgerüstet, ist dem Schiffbruch weit weniger ausgesetzt, als ein anderes, das bei
        Windstille von Seeströhmen ergriffen und ans Land getrieben werden kann. Desgleichen ist sein Mechanismus bei sehr stürmischer
        See noch thätig, wo ein andres Schiff sich der Willkühr der Elemente überlassen muß.
     2) Die Bestandtheile dieser Erfindung sind bei weitem nicht so der Havarie unterworfen, als Maste und Zubehörden, oder die sogenannte
        Takelage, deren Kostenaufwand auch schon an sich um ein sehr großes beträchtlicher ist, als bei der Maschine.
     3) Wenn auch was daran bricht, oder im Kriege abgeschossen wird, läßt sichs sogleicht wieder ergänzen, und es bedarf zu keinerlei
        Ausbesserung des Einlaufens in einen Seehafen. Die Unterhaltung der Sache ist überhaupt weit weniger Schwierigkeiten unterworfen,
        welches folglich auch die Kosten vermindert.
     4) Beim Mechanismus ist eben nicht viel Raum erforderlich. Das meiste wird auf dem Verdeck angebracht.
     5) Gelernte Matrosen sind dabei unnötig; jedermann kann den Dienst verrichten. (Welch ein Vortheil!!)
     6) Die jetzige Art von Schiffen darf übrigens nicht umgeformt und selbst die meisten Segel (wenn man will) können - weil sie einmal
        da sind - beibehalten werden.
  Zweiter Theil
  Kriegsschiffe aber wünschte der Erfinder in manchem abgeändert zu sehen, und zwar zu dem Ende, damit eine Fregatte von circa
  24 bis 30 Kanonen sich mit einem Schiff vom ersten Range messen und des Sieges gewiß seyn könnte - wovon er jedem Experten
  sonnenklare Beweise zu geben bereit ist.
  Ueberhaupt muß eine Seemacht, nach seinen Angaben eingerichtet, und mit Hülfe seiner Machine, nur den 4ten Theil kosten. Denn wozu man bisher
Schiffe vom 1ten, 2ten und 3ten Range gebrauchte, da würde er weit kleinere anwenden, und des Erfolgs dennoch sicherer seyn. Erklärung
dieserhalb läßt sich indeß nicht eigentlich auf theoretische Art geben, und seine praktische Proben sind, seiner Versicherung nach, von so vieler
Evidenz als ausdaurender Zuverläßigkeit.
    Die Bedingnisse, um alles dies bei ihm zu sehn, und sich selbst hinreichend durch Proben überzeugen oder erforderlichenfalls Unterricht
verschaffen zu können, sind folgende:
     1) Will er keinem, als einem Kenner der Schifffarth, des Seekriegswesens und der Schiffsbaukunst seine diesfälligen Werke, Machinen und
        was dazu gehört, zeigen, oder die Proben davon machen lassen. Dahingegen muß auch ein solcher Peritus in arte, seiner Versicherung gemäß,
        alsdenn augenblicklich auf die Evidenz kommen und sich überzeugen können, daß, obwohl die zu denen Proben in des Erfinders Hause
        getroffene Einrichtungen nicht so ganz ins Große gehen können, solche dennoch hinlänglich die Demonstration der Ausführbarkeit im Grossen
        in sich enthalten, und also gleichsam auf mathematische Gewißheit beruhen.

     2) Bevor jedoch Proben und Erklärungen statt finden können, würde zwischen Käufer und Verkäufer sowohl wegen des Preises als der
        Zahlungsart, nicht weniger wegen der im Großen anzustellenden Proben, eine Uebereinkunft nöthig seyn. Der Preis, welchen er auf sein
        wichtiges Arkanum sezt, scheint zwar beträchtlich; - wie hoch aber auch der Erfinder immer dieses Pretium ansetzen mag, bliebe es meines
        Ermessens gegen den unabsehlichen Nutzen der Sache immer nur ein Pünktchen. Wofern eine Macht die Erfindung ganz allein an sich kaufen
        will, so verlangt derselbe eine halbe Million Gulden; wenn es ihr aber gleichgültig ist, ob er an andere auch verkauft, so begränzt er sich auf
        zwo Tonnen Goldes. Doch verlangt er ehe und bevor keinen Pfennig Bezahlung bis er durch kleine und große Versuche völlige Satisfaktion
        geleistet hat

    Auch im Betreff des Schießgewehrs versichert er eine Erfindung gemacht zu haben, die orginell und nachseinem Ermessen vortheilhafter ist, als
die dermalen gebräuchliche; zumal da, wie er behauptet, sich eine Befestigungsart drauf gründen ließe, die dem Feinde oder Belagerer weit mehr
zu schaffen macht, als Vaubans Methode.
    Noch hat Hr. Heinle eine Hebmaschine von leichtem Mechanismus erfunden wovon er sich einen ungleich bessern Effekt als von allen bisher
üblichen verspricht *). - Ich habe ihn um Mittheilung des Models einer neuen sehr vortheilhaften Rammmaschine ersucht, wovon er mir Erwähnung
gemacht hat, und zugleich vorgeschlagen, sich um das Verdienst der Erfindung eines vortheilhaften und mit wenig Pferden zu transportirenden
Wagens zu bewerben, der möglichst einfach und kompendieus die Stelle einer Mahlmühle vertreten kann, und durch die bloße Fortbewegung und
das Herumlaufen der vier Wagenräder um ihre Achse sowohl bei schlimmen als guten Wegen, marschirende Truppen mit Mehl versorgt, ohne vom
Einfluß des Windes und äußeren Umständen abzuhängen. Eine Erfindung dieser Art, um die bisher so mancher Mechaniker sich vergeblich bemüht
hat, würde gewiß äußerst belohnend seyn; und Hr. Heinle schmeichelt sich, damit zu Stande zu kommen.

*) Wie ich nachmals vernommen, hat sich Hr. Heinle anheischig gemacht, das bei Portsmouth versunkene Schiff Royal George von 100 Kanonen, auf
   dessen Emporbringung die Engländer einen Preis von 80 000 Pfd. Sterling ausgesetzt, in die Höhe zu bringen. Ob und mit welchem Erfolg
   dieser Versuch unternommen worden, ist mir noch nicht bekannt.